Auf dem Dach der Welt: Tadschikistan (28. August – 19. September 2016)

Viel ändert sich für uns nicht auf den ersten Kilometern im «neuen» Land. Die Menschen sind hier vielleicht etwas konservativer gekleidet: Praktisch jede Frau trägt ein Kopftuch, langbeinig und langärmlige bunte Kleider. Die Köpfe der älteren Männer schmückt ein rundes Hütchen. Und allgegenwärtig ist der Personenkult um den Präsidenten: Alle paar 100m schaut er von einem Plakat einmal mitten im Obstgarten, dann aus dem Gewächshaus auf die pickfeine Strasse runter. Doch wir freuen uns riesig, endlich in diesem Land zu sein…

Sämy ist noch immer geschwächt und der Gegenwind lässt Dushanbe anfangs kaum näher kommen. Es scheint eine eher ruhige Stadt zu sein, vielleicht liegts an seiner Grösse mit nur knapp 800’000 Einwohnern. Wir begegnen jedoch unzähligen Polizisten: Auf der Champs Elysee von Dushanbe stehen sie im Abstand von ca. 50m und dabei hats weniger Verkehr als auf der Hauptstrasse in Oberwil… Autos werden mit dem Leuchtstab zum wohl x-ten Mal auf dieser Strecke angehalten, uns lassen die Ordnungshüter aber in Ruhe. An allen Ecken werden die Randsteine neu bepinselt und die Beete mit blühenden Blumen bepflanzt. Die Landeshauptstadt putzt sich für den Nationalfeiertag heraus – den 25. seit der Unabhängigkeit.
Heute wollen wir einfach nur ankommen und sind überglücklich, Tobi nach einem halben Jahr endlich wiederzusehen. Er wird uns für knapp einen Monat begleiten. Das Zuhause unserer Gastgeberin Véro ist ein kleines Paradies. Während Sämy und Sabine etwas Erholung brauchen, kann Tobi verständlicherweise kaum mehr warten, endlich loszustrampeln. Wir machen einen Tag Pause, bringen die Velos auf Vordermann und erledigen den Grosseinkauf. Denn nun soll es drei Wochen auf der berühmten M41 durch das Pamirgebirge gehen. Der von den Sowjets errichtete so genannte Pamir Highway, ist die zweithöchst gelegene befestigte Fernstrasse der Welt. Diese Region wird neben dem tibetischen Hochland und dem Himalaya-Gebirge zum Dach der Welt gezählt. Voller Vorfreude und etwas nervös, wegen der Ungewissheit was uns da so erwartet, legen wir uns schlafen.

Dann gehts los, mit dem Wind gegen uns, aber immerhin die ersten ca. 115 km auf Asphalt. Es hat viel Verkehr, doch praktisch alle Autos sind gefüllt bis auf den letzten Platz oder nehmen am Strassenrand Wartende mit. Auf dem Weg nach Dushanbe hat noch jedes zweite Haus Brot verkauft, nun finden wir keines mehr. Wir fragen in Tante-Emma-Läden, wo die Verkäufer dann jeweils ihre Kinder ins Haus schicken, um für uns (ihr) Brot zu holen. Manchmal ist es nur ein Stück, dass sie noch haben und uns umsonst mitgeben. Die Menschen hier sind Selbstversorger. Jeder backt sein eigenes Brot, hat seine Kuh auf der Weide und etwas Gemüse im Garten. Entsprechend ist dann auch das Angebot im kleinen Lädeli. Dies ist häufig auch nicht als solches erkennbar und wird nur kurz geöffnet, wenn wir einen Dorfbewohner nach dem nächsten «Magasin» fragen: Hauptsächlich ist es mit Keksen und sonstigen Süssigkeiten ausgestattet. Wir finden aber hie und da auch Teigwaren, Reis und Bulgur, Tomatensauce oder Dosenfutter. Auch Schuhe und Kleider könnte man erwerben. Manchmal haben sie (gekühltes) RC-Cola und andere Süssgetränke, sowie Wasser im Angebot. Die meiste Zeit füllen wir unsere Wassersäcke allerdings aus Dorfbrunnen oder Bächen. In praktisch jedem Dorf hat eine Hilfsorganisation oder ein Staat irgendein Projekt, wie zum Beispiel den Bau von Wasserleitungen, finanziert. Dabei unterlassen sie es nicht, dieses Engagement auf einem grossen Schild zu präsentieren. Um nicht krank zu werden, filtern wir das Wasser. Denn immer hat es irgendwo Kühe, Esel, Schafe oder Pferde auf der Weide. Die Tadschiken hingegen trinken dieses Wasser ohne Bedenken – nicht selten auch aus den mit Abfall gefüllten Wasserkanälen am Strassenrand.

Wir packen gerade unser Mittagessen auf einer Wiese aus, als wir von Vahram herangewunken werden. Wir sollen mit in sein Haus kommen. In einem Zimmer wird eine Decke ausgebreitet und immer mehr Süssigkeiten, Brot, Trauben und für jeden ein Schälchen Suppe gebracht. Göttlich, dieses Zmittag! Der Lehrer und Chauffeur hat nicht viel Zeit und wir schliessen uns ihm an: Gerne hätte er uns zwar bis zum nächsten Morgen als Gäste behalten, aber der Zeitplan und die Vorfreude auf die Pamirgegend lassen uns weiterstrampeln.

Wir verlassen die gute Strasse und fahren in ein atemberaubendes, enges Tal hinein, welches von bunten Felsen flankiert wird. An manchen Stellen leuchtet die Erde feurig rot. Im Kontrast dazu steht der strahlend blaue Himmel sowie ein paar grüne Büsche am Hang. In stetem Auf und Ab gehts dem Fluss Vakhsh und dann Obikhingou entlang. Uns begegnen viele Kinder in schicker Uniform auf dem Weg zur Schule: Die Buben im Anzug, die Mädchen in Jupe und Bluse. Ihre Haare sind zu zwei Zöpfen zusammengeknotet, alle mit derselben riesigen, weissen Haarmasche.
Am Abend des vierten Tages übernachten wir auf 1800m.ü.M. Wir fragen im letzten Dorf vor dem Pass nach Brot und bekommen sechs frische Fladenbrote geschenkt! Am nächsten Tag steht der Sagirdasht-Pass (auch Khaburabot-Pass) auf dem Programm. In 25km gilt es bis auf über 3200m.ü.M. zu gelangen. Meist ist die Schotterstrasse gut befahrbar. Teile, die ausschliesslich aus losen Steinen bestehen, sind aber anspruchsvoll. Zudem fällt mit zunehmender Höhe das Atmen schwerer. Leider gibts zur Belohnung keine geniale Abfahrt – zumindest was den Strassenbelag anbelangt nicht. Die Schotterstrasse verlangt von uns vollste Konzentration. Dafür schlängelt sie sich elegant den schroffen Felswänden entlang und zwängt sich neben dem Bach ins enge Tal. Das groteske Minenwarnschild gleich neben der Strasse macht uns etwas betroffen. Am Talende treffen wir auf den ersten Checkpoint. Dieser markiert die Grenze zum autonomen Gebiet Gorno-Badakhshan im Osten Tadschikistans. Wir haben uns im Vorfeld das GBAO-Permit für diese Regio besorgen müssen, welches es hier nun vorzuweisen gilt.

Weiterhin werden wir in jedem Dorf von einer Horde Kinder begrüsst. Es bleibt jedoch nicht nur bei einem “hello, hello, hello”. Auf dieser Seite des Berges sind die Kids etwas aufdringlicher, wollen Fotos schiessen, Geld, stehen im Weg, halten sich an unserem Gepäck fest, … Wir winken und verteilen Highfives. Schliesslich erreichen wir Kalaikhum – was so viel wie «Festung am Ufer des Khumflusses» bedeutet – wo wir einkaufen und ausgangs Dorf kurz vor Dunkelheit einen Platz fürs Zelt finden. In der mit 2000 Einwohnern ersten grösseren Ortschaft seit Dushanbe gibt es einen kleinen Supermarkt, wo wir uns wieder einmal mit mehr als nur Notwendigem eindecken können.

Es wird eine unruhige Nacht. Es hat Sabine so richtig erwischt und der Durchfall und das Erbrechen schwächen sie so sehr, dass zwei Tage lang nicht ans Weiterfahren zu denken ist. Da wir bei Khorog gerne von der M41 abbiegen und durch den Wakhan-Korridor fahren würden, entschliessen wir uns schweren Herzens, mit dem Taxi dem Fluss Panj entlang zu dieser Abzweigung zu fahren. Es wird eine 6-Stündige Rumpelfahrt im Jeep. Und wir legen in Khorog gleich nochmals einen Ruhetag ein.
Dann verlassen wir die gemütliche Pamir Lodge und fahren Richtung Ishkashim. Jede Steigung ist super anstrengend für Sabine und sie hat keine Chance, das Tempo von Sämy und Tobi mitzuhalten. Da kommt die Einladung von Golestan gerade recht. Sie bietet uns Äpfel an, bewirtet uns dann aber mit Tee, Süssigkeiten, Somsa (Teigtaschen gefüllt mit Kürbis, mmmmh) und den frittierten und mit Kartoffeln gefüllten Teigtaschen, die wir in Armenien schon so gerne gegessen haben. Auf den Weg gibt sie uns dann doch noch zwei Säcke (!) gefüllt mit den versprochenen Äpfeln. Alles Erklären, dass wir auch mit ein paar wenigen Äpfeln glücklich seien, nützt nichts. Sie meint, der Weg nach Osh sei lang und auf dem Pamir-Plateau gebe es kein Obst. Na dann… Auf der Suche nach Honig, erhalten wir ein Dorf weiter von zwei Tadschiken je einen Sack Äpfel und ein paar Tomaten. Damit haben wir wohl für ein paar Wochen ausgesorgt, denken wir. Zum Glück hat Tobi noch Verstauungsmöglichkeiten. Und er ist sowieso zu schnell, da sind ein paar Zusatzkilos schon ok. 😉 In einem Dorf finden wir einen Schlafplatz. Wir sind gerade dabei, die Äpfel zu Kompott zu verarbeiten, als eine Gruppe Kinder vom Dorf scheu näher und näher kommt. Sie legen uns einen Plastiksack hin und sind dann schwups wieder weg. Wir spähen hinein und unsere Vorahnung bestätigt sich: Es ist halt gerade Apfelerntezeit und der Ertrag scheint gross zu sein… Aber wir wollen uns nicht über diese supernette Geste und die willkommenen Früchte beklagen! Der Apfelkompott hat super geschmeckt und wir haben unsere ca. 6kg Äpfel auf 5,5kg reduzieren können. 🙂

Als wir am nächsten Tag am Strassenrand ein mit Wasser gefülltes Becken erspähen, hält uns nichts mehr auf dem Velo: Eine heisse Quelle – was für eine erholsame Pause! Ausgangs Ishkashim flucht Sämy plötzlich los: Die Felge seines Vorderrades hat einen Riss! Diese Geschichte kennen wir doch bereits. Aber muss das denn an einem der abgelegensten Ecken der Welt passieren? 🙁 Es bleibt uns nichts anderes übrig als weiterzufahren. Wir lassen zur Entlastung etwas Luft aus dem Reifen. Zudem leeren wir Sabine’s Vordertaschen und spannen das defekte Rad bei ihr ein. Hoffentlich finden wir bald Ersatz..!

Als bei unserem heutigen Schlafplatz ein kleiner Junge mit seiner Mama vorbeispaziert, sehen wir unsere Chance und schenken ihnen ein paar Äpfel. Nur kurze Zeit später kommt der Junge zurück mit einem Plastiksack voller Gurken, Tomaten und einem Brot. Wow, unglaublich nett! Auf einmal stehen zwei Jungs bei unserem Zelt und tadaaa, drücken uns eine weitere Apfeltüte in die Hand. Mit diesem Geschenk haben wir unseren Bestand wieder auf 6kg korrigiert. 🙂

Es ist ein spezielles Gefühl, in diesem geschichtsträchtigen Tal zu fahren und nur eine Flussbreite von Afghanistan und eine Bergkette von Pakistan entfernt zu sein. Mit dem Ziel, zum indischen Ozean zu gelangen und damit einen Hafen zu erlangen, der im Winter nicht zufriert, dehnt Russland zwischen dem Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhundert sein Reich stetig aus. Doch so einfach ist es nicht: Denn Indien und damit der Zugang zu eben diesem Meer, wird zu jener Zeit von Grossbritannien kontrolliert.
Aber auch die Briten haben ihre Mühe und scheitern daran, Afghanistan zu erobern. Schliesslich legen sie gemeinsam mit den Afghanen dessen nördliche Grenze – die Flüsse Panj und Pamir – fest. Der afghanische Wakhan-Korridor bildet dabei eine neutrale Zone zwischen Britisch-Indien – dem heutigen Pakistan – und Russisch-Zentralasien. Afghanistan wird so zum Pufferstaat zwischen den beiden Grossmächten. Dieser Kampf um die Vormachtstellung in Zentralasien geht in der Geschichte als «The Great Game» ein.

Wir finden einen Schlafplatz auf einer wunderschön grünen Wiese und werden am Morgen von mehreren Tierherden und schliesslich von Samira begrüsst, die uns gleich zu sich einlädt. Gespannt betreten wir das typische Pamiri-Haus. Es ist etwas dunkel und kühl und der Vater von Samira schläft noch immer auf ein paar Decken. Wir warten auf das zweite Morgenessen und haben Zeit, das Interieur genauer zu studieren: Es besteht aus drei verschachtelten Wohnbereichen (Sandj). Sie stellen die Naturreiche der Tiere, Pflanzen und Mineralien dar und werden als Schlafplatz und Wohnzimmer genutzt. Der Boden in der Mitte des Raumes ist mit Holzlatten belegt und widerspiegelt die unbewegliche Welt. Darauf steht ein Eisenofen umringt von fünf Säulen, die das Dach stützen. Sie symbolisieren die fünf Mitglieder von Ali’s Familie sowie die fünf Prinzipien des Islams. Darüber ist die Decke aus vier konzentrischen Quadraten geformt, die die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer repräsentieren. Das Fenster in der Mitte der Vierecke lässt ein paar Sonnenstrahlen ins Haus. Sonst ist das Dach flach – bei so wenig Niederschlag ideal um darauf Aprikosen, Maulbeeren oder Kuhdreck zum Heizen zu trocknen. Der Querbalken über der Eingangstür ist aufwändig mit Symbolen verziert. Teppiche an den Wänden und auf den Sandj lassen den Raum etwas wärmer wirken. Fliessend Wasser gibts aus der Quelle gleich neben dem Haus.

Vollgegessen nach unserem Frühstück und dem Kartoffel-Teigwaren-Eintopf von Samira machen wir uns auf den Weg. Die Strasse ist lange gar nicht so schlecht, aber wir kommen nicht recht vom Fleck. Im Dorf Yamchun lassen wir uns die Gelegenheit nicht nehmen und fahren mit dem Taxi zu den 500hm höher gelegenen Hot Springs und zur Yamchun-Festung. Die Sicht aufs Tal und die weissen Gipfel des Hindukush ist von hier oben noch beeindruckender.
Unser heutiges Nachtlager bauen wir auf einer Sandbank gleich neben dem Fluss Panj auf. Wir geniessen den Feierabend, doch während der Znacht-Zubereitung wird der Wind immer stärker. Unsere Pfannen und das Essen sandfrei zu behalten wird immer schwieriger und so flüchten wir ins Zelt. Allerdings haben wir nur das Moskitonetz geschlossen und somit ist bereits der ganze Innenbereich mit Sand bedeckt! Schnell schliessen wir alle Löcher und harren dem Sandsturm im Zelt aus. Am nächsten Morgen knirscht alles, der Sand ist einfach überall!

Dann ist fertig mit guter Strasse: Nur selten ist sie noch asphaltiert, hin und wieder miserabel zu befahren: Sand oder lose Steine, die einen jeweils so 50m nur schiebend vorankommen lassen. Aber wir geniessen die Fahrt durch dieses weite Tal. In den grünen Dörfern durchfahren wir lange Alleen in denen es angenehm kühl ist. Die Menschen sind zurückhaltend freundlich. Die Kinder sind stets am lautesten und erspähen uns jeweils in Sekundenschnelle. Manchmal schneller als die Hunde bellen können. 😉
Heute fühlt sich Tobi unwohl und wir vermuten erst, es könnte an der Höhe liegen. Vielleicht ist auch die Butter auf dem Brot schuld gewesen, denn plötzlich muss sich Tobi übergeben (in den Garten unseres Gastgebers – ups). Wir beenden unseren Velotag vorzeitig nach 25km am Mittag und beziehen ein Zimmer in Panschambe’s Homestay in Langar.

Am nächsten Tag fühlt sich Tobi wieder etwas besser und wir fahren weiter. Während Sämy nochmals zurück ins 5km-entfernte Dorf muss, um unsere Benzin-Reserven aufzufüllen, starten Tobi und Sabine mit dem Aufstieg. Schon Dorfausgangs beginnen die Serpentinen und in den Kurven ist die Strasse jeweils so steil und so schlecht, dass wir das Velo schieben müssen. Es kreuzen uns nur noch wenige Fahrzeuge (meist Touristen-Jeeps) und ein paar Schaf- und Kuhherden. Der Fluss Pamir liegt in einer tiefen Schlucht unter uns. Tobi ist noch sehr schwach und eigentlich noch zu krank um Velo zu fahren. Doch wir erreichen das heutige Etappenziel nach 25km, 800hm und über 3,5 Stunden Fahrzeit. Unser Schlafplatz liegt in totaler Einsamkeit, auf 3500m.ü.M. Die Katzenwäsche im eiskalten Bergbach beschränkt sich für gewisse von uns aufs Hände und Füsse waschen. 😉

Wir steigen weiter, fahren durch unberührte Natur, begegnen einzig einem Lastwagen, dessen Ladefläche mit Männern gefüllt ist, einem Touristenjeep und zwei amerikanischen Tourenfahrern. Und, wer liegt da gemütlich am Ufer des Pamirs? Wir haben es kaum mehr zu hoffen gewagt und freuen uns wie kleine Kinder ab den drei Kamelen. Auch wenns überall etwas Sand hat, irgendwie passen diese Huftiere nicht so in diese kühle Gegend… Gegen Abend erreichen wir den Checkpoint in Kargush, wo Sämy’s und Sabine’s Schuhwahl (Sandalen) ein ungläubiges Lächeln in die Gesichter der Militärmannlis zaubert. 😉 Rasch stellen wir unser Zelt auf und verkriechen uns in unsere Schlafsäcke. Auf knapp 4000m.ü.M. wird es empfindlich kalt, sobald die Sonne hinter der Bergkette verschwindet.
Auch am Morgen ist es bitterkalt. Tobi macht den Abwasch und ihm bleibt das Besteck an der Hand kleben! Das Wasser im frisch gewaschenen Geschirr gefriert auch gleich wieder und so warten wir ungeduldig auf die ersten Sonnenstrahlen. Die 200 Höhenmeter bis auf den Pass schaffen es nicht, uns aufzuwärmen. Die Abfahrt führt durch eine karge, braune, aber unbeschreiblich schöne Landschaft. Die Sand-Strasse ist leider erneut miserabel: Sie sieht aus wie Wellblech mit kleinen Hügeln alle 20cm. Für gefederte Jeeps kein Problem, die sausen da einfach drüber. Doch uns schüttelt sie so richtig durch. Wir suchen die beste Spur am linken Strassenrand, dann rechts oder doch in der Mitte? Oft ist der Erdboden neben der Strasse sogar besser… Am Mittag sind wir zurück auf der M41 und damit endlich wieder auf Asphalt – jupiiii. 🙂 Zudem bietet sich uns eine herrliche Aussicht beim Zmittag auf farbige Felsen und türkisblaue Seen!

Der östliche Teil des Pamirs ist nicht stark besiedelt. Es gibt nur ein paar wenige Dörfer und dazwischen vereinzelt Jurten. Murgab ist der grösste Ort in dieser Region und hier gibts einen wohlverdienten Ruhetag. Wir quartieren uns in der Jurte des Hotels Pamir ein und geniessen eine herrlich warme Dusche! Abendessen gibts bei schummrigem Licht, da Stromausfälle hier zur Tagesordnung zählen.
Dann schlendern wir über den Bazar, der aus unzähligen Fracht-Containern besteht. Wir suchen nach etwas, um den Riss im Vorderrad zu stabilisieren – er ist nämlich in der Zwischenzeit so stark angewachsen, dass Sabine ihre Vorderbremse aushängen musste. Der Hartwarenladen ist gerade geschlossen und wir kommen beim Warten ins Gespräch mit einem Murgabaner. Und wies der Zufall so will, weist er uns an, ihm zu folgen. Denn er habe in seinem Haus noch einige Vorderräder herumstehen. Wir können kaum glauben, hier – im Nichts – ein funktionstüchtiges Ersatzrad gefunden zu haben. Zumindest bis in den nächsten grösseren Ort sollte es halten. Er zeigt uns zudem noch eine Adresse in seinem Notizbuch. Es sei eine Tourenfahrerin, welcher er ebenfalls geholfen hat. Ihr Name? Mia aus Scuol. Die Welt ist klein!

Da der Ostpamir eine regenarme Hochgebirgswüste ist, brauchen wir uns kaum Sorgen ums Wetter zu machen. Wir geniessen es richtig, jeden Tag mit Sonnenschein und blauem Himmel los strampeln zu können. Wir befinden uns aber immer auf über 3500m.ü.M. und so wird es tagsüber zwar angenehm warm, aber abends kochen wir meist im Zelt.
Die Täler sind hier sehr breit und weitläufig und mit zahlreichen Seitentälern gespiesen. In jedes verschwindet eine Jeepspur und weckt die Entdecker-Lust. Die Strecke durch das Pamirgebirge ist bei Tourenfahrern beliebt. Kaum ein Tag auf dem Plateau vergeht, ohne dass jemand von uns schreit: «Velofahrer»! Am Rekordtag unterhalten wir uns mit deren neun!
In der Ferne präsentiert sich der Gipfel des 7509 Meter hohen Muztagata, der bereits auf chinesischem Boden steht. Viele 100km fahren wir einem von den Chinesen errichteten Grenzzaun entlang. Ursprünglich haben die Bergketten dahinter die Grenze gebildet, aber Tadschikistan hat einen Streifen seines Landes an China verkauft.

Kurz vor Karakul fahren wir über den höchsten Pass unserer bisherigen Reise: Den Akbaital-Pass der auf 4655m.ü.M. liegt. Weiter unten leuchtet der 380km2 grosse Karakul-See in den schönsten Türkisfarben. Im Jahre 2014 ist hier eine Regatta durchgeführt worden, was ihm den Titel des höchst-beschiffbaren Sees verliehen hat. Hier haben wir auch perfekte Sicht auf den Gipfel des Pik Lenin (7134 Meter). Es ist nicht mehr weit bis Kirgistan. Nach ca. 50km und 200hm erreichen wir den Checkpoint und gleich dahinter den tadschikischen Grenzübergang. Neben Pass und Visum muss auch der bei der Einreise erhaltene Deklarations-Zettel abgegeben werden. Während der Beamte bei Sabine und Sämy jeweils das Visum und das Einreiseformular in den Abfall wirft und den Stempel in den Pass drückt, sucht Tobi sein ganzes Gepäck ab und kann den Fötzel nirgends finden. Ist es unter den Papierchen, die er in Dushanbe weggeworfen hat? Egal, es ist nicht da und der Grenzbeamte stellt sich auf stur. Tobi müsse zurück nach Dushanbe. Sabine und Sämy müssen allerdings weiter – sie haben ja schon den Ausreisestempel im Pass. Wir diskutieren. Aber er lässt nicht mit sich reden und zieht sich nach 10 Minuten in sein Büro zurück und konsultiert wohl irgendwelche Reglementsschunken. Oder er tut zumindest so. Wir warten ungeduldig und hoffen. Als er zurückkommt bleibt er aber bei seinem Standpunkt und wir versuchen vergebens, ihn dazu zu bewegen, Tobi ausreisen zu lassen. Plötzlich schickt er Sabine und Sämy raus und kurz später kommt auch Tobi aus der Tür, sichtlich nervös, er brauche Dollarscheine. Aha, so funktioniert das also. 10$ «kostet» Tobi dieses Missgeschick und wir strampeln erleichtert, aber auch etwas aufgewühlt die letzten 1,5km und 100hm zum Kyzyl-Art-Pass auf 4270m.ü.M. Nun gehts 20km ein eindrückliches Tal runter, bis wir bei Einbruch der Dunkelheit endlich die kirgisische Grenzkontrolle passieren.

4 thoughts on “Auf dem Dach der Welt: Tadschikistan (28. August – 19. September 2016)”

  1. Hey,

    So many adventures since Gorem in Turkey,
    your close to your destination,

    I saw some couples on the road and i wondering where you are right now.
    Full on bike that’s amazing, im still on foot with no air-plane,

    Stay safe and enjoy the end of your trip

    Sweet hug from Tibet

    JC

  2. Wow, great job guys!

    Sorry to hear about you getting ill.

    Your pictures are amazing as always.

    I loved hearing about your mt. Climbs. It is amazing how cold it can het when the sun goes away.

    Take care

    Phillip and Rose

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